Nearshore Outsourcing – Einfach erklärt in 5 Minuten
Überlegen Sie gerade, ob IT-Outsourcing das Richtige für Ihr Unternehmen ist? Und stehen Sie vor der Frage, in welche Regionen Sie verlagern, ob Nearshoring eine Option ist? Dann finden Sie in diesem Blog alles Wichtige, was Sie über Nearshoring wissen müssen. Wir erklären, welche grundsätzlichen Überlegungen zu Beginn stehen.
Auf der Suche nach IT-Fachkräften
Üblicherweise gibt es zwei Hauptgründe, warum sich Unternehmen mit den Thema Outsourcing beschäftigen und darüber auf das Konzept des Nearshorings treffen:
- Die Unternehmen sind auf der Suche nach IT-Fachkräften in Deutschland bzw. im DACH-Raum. Jedoch ohne Erfolg: Die Stellen können trotz intensivem Recruiting nicht besetzt werden. Es liegt ein Fachkräftemangel
- IT-Fachkräfte sind vor Ort zu finden. Allerdings sind die Gehälter für Unternehmen nicht darstellbar, sprich die Fachkräfte sind zu teuer.
Ob nun der Fachkräftemangel oder die hohen Gehälter die Unternehmen unter Druck setzen, das Resultat ist das gleiche. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und sein Geschäft weiter erfolgreich zu betreiben, muss man sich auf die Suche nach Alternativen begeben. Oft ist dies dann der Beginn über Outsourcing nachzudenken. Leistungen werden nicht mehr im Unternehmen selbst erbracht, sondern ausgelagert. An andere Anbieter, an andere Standorte, in andere Länder.
Onshoring, Nearshoring, Offshoring – Was ist der Unterschied?
Das Thema Outsourcing ist recht umfassend, und es gibt da einige grundsätzliche Zusammenhänge, die man als Entscheider kennen muss. Eine wichtige Unterscheidung wird durch die Begriffe Onshoring, Nearshoring und Offshoring getroffen. Von Onshore spricht man, wenn die Arbeit im gleichen Land erledigt wird, in welchem das Unternehmen ansässig ist. Für ein deutsches Unternehmen wäre dies eine weitere Niederlassung in Deutschland oder eine Zusammenarbeit mit einem in Deutschland ansässigen Dienstleister. Beträgt die Distanz zwischen dem Outsourcing-Land und Deutschland mehr als 3 Flugstunden, so befinden wir uns im Bereich des Offshorings. Wir reden hier also von Ländern wie Indien, Ferner Osten, Südamerika etc. Von Nearshore sprechen wir, wenn 1-2 Flugstunden nötig sind, um das Zielland zu erreichen. Gemeint sind hier also Osteuropa, Südeuropa oder Nordafrika. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil mit den verschiedenen Regionen unterschiedliche Zeitzonen und Zeitverschiebungen, kulturelle Unterschiede, Kosten und auch Sprachkenntnisse verbunden sind. Je weiter weg ein Land ist, umso größer werden beispielsweise die kulturellen Unterschiede und umso schwieriger wird es, sich persönlich zu treffen. Sind die kulturellen Unterschiede zu groß, dann kann das leicht zu Verständnisproblemen führen – auch wenn die Sprachkenntnisse auf beiden Seiten gut sind. Denn oft kommt es darauf an, zu verstehen was zwischen den Zeilen gemeint ist. Kommunikation findet immer im kulturellen Kontext statt. Eine Zeitverschiebung kann zudem einen massiven Einfluss auf die Produktivität haben, weil das Team in Deutschland sich nicht ad hoc mit dem Team in Südostasien austauschen kann.
Freelancer, Outsourcing-Anbieter oder eine eigene Tochtergesellschaft?
Ein weiterer Faktor, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Zeitdauer. Handelt es sich um ein Projekt von ein paar Wochen oder ein paar Monaten, oder wird ein Team auf unbestimmte Zeit benötigt? Wenn ein Projekt nur ein paar Wochen oder Monate dauert, dann ist es eventuell sinnvoll, einen Freelancer zu suchen – zum Beispiel auf entsprechenden Portalen wie Upwork. Dauert das Projekt jedoch länger und wird eher ein Team statt einer Einzelperson benötigt, dann ist es empfehlenswert, mehr Zeit und Mühe in die richtige Auswahl des Outsourcings zu investieren und einen Outsourcing-Anbieter mit ins Boot zu nehmen, der sich zum Beispiel vor Ort auskennt oder die Infrastruktur wie Räume und IT zur Verfügung stellt. Und wenn es sich sogar um eine ganze Pipeline an Projekten handelt oder ein Produkt entwickelt werden soll, dann tendiert man eher zu einem eigenen Softwareentwicklungsteam oder einer eigenen Tochtergesellschaft im Ausland. Hier spielen auch Überlegungen hinsichtlich Intellectual Property (IP) eine wichtige Rolle.
Modelle der Zusammenarbeit im Nearshoring
Hat ein Unternehmen die Entscheidung getroffen, mit einem Outsourcing-Anbieter zusammenzuarbeiten, dann muss als Nächstes bedacht werden, wie die vertragliche Ausgestaltung ist. In Deutschland kennen wir üblicherweise zwei Standardmodelle der Zusammenarbeit:
- den Dienstvertrag, in dem ein Service geschuldet wird und
- den Werkvertrag, bei welchem der Output, das Werk, in unserem Fall die Software geschuldet wird.
Mit beiden Modellen sind auch wichtige Fragen im Bereich Sozialversicherung und Arbeitsrecht verbunden. Oft wird die Analogie der “White Box” vs. “Black Box” verwendet. In die White Box können wir hineinsehen, während wir bei der Black Box nur die Außenhülle sehen. Betrachten wir genauer, was damit gemeint ist.
Black Box – Der Werkvertrag
Bei der Black Box handelt sich um einen klassischen Werkvertrag. Der Auftraggeber beschreibt das Endprodukt, und der Auftragnehmer benennt einen Preis, einen Liefertermin und ist am Ende dafür verantwortlich das Produkt zu liefern. In der Softwareentwicklung sieht das dann idealtypisch so aus:
- Eine Spezifikation wird vom Auftraggeber erstellt, die unter Umständen sehr lang sein kann.
- Ein Fixpreis wird vereinbart, der vom Auftraggeber zu bezahlen ist, wenn die Software ausgeliefert wird, also die Leistung erbracht ist.
- Der Outsourcing-Partner informiert laufend über den Status und Fortschritt des Projektes.
In der Praxis sieht dies jedoch oft ganz anders aus. Folgende Problemstellungen sind in der Softwareentwicklung recht häufig anzutreffen:
- Die Anforderungen werden durch den Auftraggeber oftmals geändert und der Preis muss dementsprechend angepasst werden.
- Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer stellen mitten im Projekt fest, dass die Spezifikation lückenhaft ist. Diese Lücken beeinflussen den Preis jedoch massiv, denn um sie zu schließen, muss zusätzliche Entwicklungszeit aufgebracht werden bzw. zusätzliche Ressourcen sind notwendig. Hier verbirgt sich ein großes Konfliktpotenzial.
- Zudem gehen Anbieter oft von unterschiedlichen Annahmen aus, basierend auf der Spezifikation. Es ist daher auch nicht zwingend sinnvoll, bei einem Preisvergleich zwischen verschiedenen Outsourcing-Anbietern den billigsten Anbieter zu wählen, denn der günstige Dienstleister hat eventuell diese Lücken noch zu einem weit größeren Maß übersehen als der teurere Anbieter.
- Der Auftraggeber hat keinen Einblick und auch keine Entscheidungsgewalt darüber, wer an der Software arbeitet und ob die Software effizient entwickelt wird.
Aus unserer Erfahrung gehen in der Softwareindustrie mindestens 30% dieser Projekte schief, weil entweder das Budget, die Qualität oder die Termine nicht eingehalten werden.
White Box – Der Dienstvertrag
Bei einer White Box-Lösung im Outsourcing wird eine Vereinbarung über einen Service getroffen. Das sieht im Detail so aus:
- Der Outsourcing-Partner stellt dem Auftraggeber passende Fachkräfte vor. Der Auftraggeber entscheidet, mit welchen IT-Experten er zusammenarbeiten will.
- Es wird kein Fixpreis vereinbart, sondern ein Stundensatz pro Mitarbeiter.
- Der Auftraggeber gibt den Teammitgliedern Aufgaben. Er ist ständig in engem Kontakt mit dem Team und führt es.
- Darüber hinaus definiert er, mit welchen Methoden und Prozessen gearbeitet werden soll (Kanban, Scrum etc.).
- Da der Auftraggeber nahe am Prozess und Team ist, kann er sehr flexibel die Anforderungen anpassen, um schneller ans Ziel zu kommen. Auch erhält er ein schnelles Feedback vom Team.
Der Vorteil liegt darin, dass hier Kosten eingespart werden können und eine flexiblere Produktentwicklung stattfindet. Da es kein starres Pflichtenheft gibt, wird das Produkt agil vom Prototyp zum Endprodukt inkrementell weiterentwickelt. Eine solche Zusammenarbeit kann kurzfristig angelegt sein, indem man mit Freelancern zusammenarbeitet, oder längerfristig durch ein eigenes Entwicklungsteam erfolgen.
Wie sieht die praktische Umsetzung aus?
Bei längerfristigen und größeren Projekten ist es von Vorteil, eine individuelle Lösung zu wählen, denn beide Formen (White- oder Black-Box) sind des Öfteren nicht die Ideallösungen. Durch die Kombination von Teilen aus beiden Vertragsformen können individuelle Bedürfnisse beider Vertragsparteien sehr gut abgebildet werden. So kann ein eigenes Team (ein sogenanntes Dedicated Team) bei einem Outsourcing-Provider angesiedelt sein. Die Teammitglieder arbeiten exklusiv und zu 100% für den Auftraggeber. Das Team wird speziell für den Auftraggeber zusammengestellt. Das Recruiting übernimmt hier der Outsourcing-Anbieter – Die finale Entscheidung, mit wem der Auftraggeber zusammenarbeiten möchte, wird hingegen von ihm getroffen. Natürlich kann vor Ort auch eine eigene Tochtergesellschaft gründet werden. Dies setzt jedoch voraus, bereits einige Erfahrungen im Outsourcing und Nearshoring gesammelt zu haben. Außerdem müssen sehr gute Kenntnisse des jeweiligen Arbeitsmarktes, der Sprache, der Kultur, des Lohnniveaus, des Arbeitsrecht, des Gesellschaftsrecht usw. vorhanden sein. Sehr oft kommt man schneller ans Ziel, wenn man das bereits vorhandene Wissen eines Outsourcing-Anbieters in Anspruch nimmt, denn dieser verfügt über diese notwendigen Kenntnisse. Das bedeutet, der Auftraggeber kann dann auf dessen Erfahrung auf dem lokalen Markt im Zielland zurückgreifen. Weiterhin können die Büroräumlichkeiten des Anbieters genutzt sowie Backoffice und administrative Tätigkeiten an ihn übergeben werden. Durchaus überlegenswert ist es, mit dem Outsourcing-Partner eine “buy-out clause” zu vereinbaren: Es wird eine Ablöse pro IT-Consultant vereinbart. Dies ist gerade für Startups interessant, die gegenüber den eigenen Investoren mehr Personal auf der eigenen Payroll darstellen wollen. Unserer Erfahrung nach machen solche Überlegungen Sinn, wenn man eine gewisse Teamgröße erreicht hat.
Fazit
Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf das Thema Nearshoring zu werfen. Es gilt, grundsätzliche Fragen vorab zu klären. Die Vorteile der White-Box-Lösung liegen auf der Hand. Wir müssen jedoch auf einen sehr wichtigen Punkt hinweisen: Diese Lösung mit all seinen Benefits kann man nur dann in Anspruch nehmen, wenn man die nötige Erfahrung im Management von Teams auf Distanz hat und im eigenen Unternehmen der Software-Entwicklungsprozess entsprechend gestaltet ist. Remote Arbeiten und Remote Work sollten bereits gelebt werden. Ohne diese Voraussetzung sind Nearshoring-Projekte zum Scheitern verurteilt. Deshalb ist es wichtig zu untersuchen, ob man “Nearshore Ready” ist. Was es dafür braucht, finden Sie in unserem Blogpost „Nearshore-Readiness Prüfung“.